Christoph Keller Multifunktionsmensch

Zertifizierter Börsenhändler

Inhalt

Bulle und Bär ©2023 Christoph Keller
Bulle & Bär: die Symboltiere der Börse
Erneute Berufswahl mit 53 Jahren

Wenn man mit 53 Jahren beruflich plötzlich auf der Straße steht, gestaltet sich die Notwendigkeit, sich einen neuen Beruf zu suchen relativ schwierig. Meine Musikproduktionsfähigkeiten brachten mich zu dieser Zeit kaum noch weiter, weil ich seit Jahren Kontakte in diese Branche nicht mehr pflegte und die entsprechende Branche ohnehin kaum noch Möglichkeiten bot. Vertretungsdienste wollte ich nicht mehr machen und das hätte auch finanziell kaum Perspektiven geboten. Außerdem gilt in Deutschland, anders als in den USA, das Gebot, dass man irgendeinen Befähigungsnachweis braucht, will man sich für eine Tätigkeit bewerben. Außer meinen 5 Diplomen als Berufsmusiker hatte ich nichts vorzuweisen. Ein Lehrauftrag kam aufgrund meines Alters auch kaum noch in Betracht, zumal es diesbezüglich auch keine Stellenangebote gab. 

Gerade zu dieser Zeit machte meine Frau eine spezielle Fortbildung innerhalb ihrer Tätigkeit bei der EU-Kommission. Jeden Abend kam sie nach Hause und war total begeistert, was sie dort alles an Neuigkeiten lernte und wie spannend es war, den eigenen Horizont zu erweitern, und das, während ich da saß und Löcher in die Wand guckte. 

Ab einem gewissen Zeitpunkt, vielleicht nach drei Tagen, fing ich an sie zu beneiden. „sowas will ich auch““ entschied ich für mich und beschloss, gleichfalls eine Schulung zu machen, die meinen Horizont erweitern sollte, am besten etwas ganz anderes und möglichst weit weg vom Mief der provinziellen Kleingeistigkeit in meinem vorherigen Umfeld, wo die Horizontlosigkeit und Engstirnigkeit einzelner die Schicksale von vielen Menschen beeinflussen. Mir schwebte das genaue Gegenteil vor.

Nach einiger Suche fiel mein Blick auf ein Schulungsangebot einer wirklich seriösen Bildungseinrichtung in Hamburg, die eine Ausbildung zum Börsenhändler anbot. Da ich bereits seit 2009 mit Aktien tätig war, schien es mir wert, das Angebot näher zu betrachten. 

Man konnte mit dem Leiter der Institution einen Telefontermin vereinbaren, wo man als Interessent über alle möglichen Details informiert wurde. Der Knackpunkt war, dass es eigentlich nicht um Aktien ging, sondern um Terminkontrakte. Was zum Teufel ist ein Terminkontrakt? Die Ausbildung sollte ein Jahr dauern, in Vollzeitpräsenz in Online-Form, die kosten beliefen sich für die erste Etappe auf einen oberen fünfstelligen Betrag. Am Ende stand die offizielle Berufsprüfung an der Frankfurter Börse mit entsprechendem Zertifikat, bzw. Befähigungsnachweis. Streng genommen hätte man sich damit beispielsweise bei einer Bank als Terminhändler bewerben können. Aber darum ging es mir nicht.

Nach einiger Bedenkzeit entschied ich mich, diese ganz neue Herausforderung anzugehen und meldete mich zum nächstmöglichen Eintrittstermin an.

 

Fulltime-Beschäftigung mit dem Wertpapiermarkt

Die Ausbildung war für mich persönlich nicht nur der pure Stress, sondern auch derart anstrengend, dass mir nicht so ganz klar war, wie ich das Ausbildungsziel bewältigen konnte, zumal ich in den ersten Tagen lediglich Bahnhof und Abfahrt verstand. Der Tagesablauf von Montags bis Freitags war der folgende:

  • 8.00 Uhr: Morgenmeeting mit umfassender Anaylse der globalen, geopolitischen Situation und des Marktes
  • 9.00 – 12.00 Uhr: Praktischer Handel in der Simulation am Echtzeitmarkt
  • 14.00 – 15.00 Uhr: Nachbesprechung des Vormittags
  • 15:00 – 18.00 Uhr: Theoretischer Unterricht
  • Abends: Lernen der Inhalte des Nachmittags

Die Spezialität der Schulung war, dass es tatsächlich nur um den Terminmarkt ging, also den Handel von Futures und Optionen. Dabei war die technische Beherrschung in der Praxis für die Schulungsteilnehmer nur auf den Future bezogen, speziell auf den DAX-Future. Die Optionslehre war eher theoretischer Natur. Beide Kontraktarten waren Hauptgegenstand der avisierten Berufsprüfung unter Einbeziehung der außerbörslich gehandelten Kontrakte am Rande.

Es ging also darum, im ersten Schritt zu begreifen, was für eine Art Papiere das überhaupt sind, im zweiten den praktischen Einsatz im Börsenhandel und im dritten die Möglichkeit, aus dem Handel mit – in diesem Fall – dem DAX-Future ein auskömmliches Einkommen zu generieren. 

Der Terminmarkt ist ein äußerst spannendes Feld, ich will versuchen, Ihnen einige Grundlagen zu vermitteln, ohne Sie zu langweilen. Mit Aktienhandel, bei dem man ein paar Jahre warten muss, bis sich Gewinne einstellen, hat das nicht das Geringste zu tun.

 

Futures, Optionen und die praktische Tätigkeit als Terminhändler

Die Terminkontrakte kommen aus älterer Zeit, hauptsächlich aus der Landwirtschaft. Stellen Sie sich einen Bauer vor, der weiß, dass er zu einem Zeitpunkt X in der Zukunft eine gewisse Menge Weizen, Orangensaft oder ein sonstiges Erntegut verkaufen muss. Er kann warten, bis es so weit ist und dann den Preis erhalten, der zu diesem Zeitpunkt am Markt gilt. Wenn er auf Nummer Sicher gehen will, kann er aber auch versuchen, den Weizen bereits zu verkaufen, bevor die Ernte zur Verfügung steht. Dazu schließt er mit einem Abnehmer einen Vertrag über einen festen Preis, der in jedem Fall gezahlt werden muss, unabhängig vom Wert, den der Weizen zu diesem Zeitpunkt tatsächlich haben wird. Sollte der Weizen mehr wert sein, als er als Preis vereinbart hat, nimmt er weniger ein, als er hätte einnehmen können. Ist der Preis niedriger, nimmt er mehr ein. Beide Varianten sind für den Bauer aber nur sekundär interessant, weil er auf jeden Fall einen Preis erhält, der seiner Erwartung gerecht wird. Das wäre ein typisches Future- oder Forward-Geschäft. Typisch dafür ist, dass der Vertrag an keine Bedingungen geknüpft ist, sowohl der Bauer als auch der Käufer muss den Vertrag einhalten.

Die andere Variante besteht darin, dass der zukünftige Käufer den Weizen gar nicht unbedingt zu dem Preis kaufen will, vielleicht weil der vereinbarte Preis zu hoch ist. Für dien Fall kann er mit dem Bauern einen optionalen Kauf vereinbaren, den er zwar nachher tätigen kann aber nicht muss. In diesem Fall ist der tatsächliche Kauf, börsensprachlich „die Ausübung“, von den jeweiligen Bedingungen abhängig. Deswegen heißt ein derartiger Zeitvertrag (Terminkontrakt) „Option“.

A day in the life of a trader

Um Sie mit diesen Inhalten nicht allzusehr zu langweilen, nur noch ein kurzer Ausflug in die praktische Tätigkeit, um die es ging.  Der DAX-Future dient in erster Linie als Absicherungsinstrument (Hedging) für den Aktienhandel im DAX. Dabei hat der Future einen Wert von 25€ pro DAX-Punkt. Durch die Tatsache, dass die Banken – ganz allgemein ausgedrückt – ständig und in kurzen zeitlichen Abständen Aktien handeln, ist der DAX-Future ständig in Bewegung, mal geht es 10 Punkte rauf, mal 3 runter, immer auf und ab, wobei die Bewegungen derart schnell sind, dass innerhalb einer Minute zum Teil beträchtliche Bewegungen stattfinden, je nach Marktlage. Ein Trade in dem bei uns gelehrten Handel bezog sich auf eine Laufzeit von wenigen Sekunden bis wenige Minuten. Man kauft zum Beispiel den Future bei 14.500 Punkten, sieht zu, wie er auf 14.505 Punkte steigt und verkauft ihn in diesem Moment wieder. Damit hat man einen Gewinn von 125€ getätigt. Der Ausbildungsinhalt war nun neben der Theorie, die praktische Umsetzung eines solchen Handels mithilfe von Signalen und Vorgängen, die die Bewegungen des Futures charakterisieren. Das Bild zeigt einen Tagebuchauszug von mir mit dem Future im Minuten-Chart.

Wie Sie sich vorstellen können, war zwischen meiner vorherigen Tätgikeit als Kirchenmusiker und dieser als auszubildender Terminhändler soviel Abstand wie zwischen Mars und Venus.

 

Kollegialität und Spannung

Wir hatten in der Ausbildung verschiedene Gruppen, meistens zwei oder drei, die jeweils in ihren Ausbildungsabschnitten aktiv waren. Dabei gab es ständigen Austausch über eine Sykpe-Gruppe aber auch in Online-Meetings. Es bildeten sich durchaus auch Kameradschaften und Freundschaften. Die Zusammensetzung war überaus potent, da Leute aus aller Welt dabei waren. Spätestens alle drei Monate fand die Zertifikatsprüfung an der Eurex (Terminbörse Frankfurt-Eschborn) statt. Danach gab es dann ein großes Zusammentreffen der meisten Schulungsteilnehmer mit Essen, Party und einem immer wieder inspirierenden Zusammensein. Auch unser Ausbildungsleiter war dann zugegen – es war einfach ein Heidenspass und es war unglaublich spannend, zu sehen welche Leute aus welchen Berufskreisen und aus welchen Gründen diese Ausbildung absolvieren wollten.

Um es noch einmal zu betonen: wir handelten zwar den Future im echten Markt, allerdings nur in einer Simulation – zumindest solange, bis man fähig war, mit diesem äußerst riskanten Instrument sicher umzugehen. Manchen gelang dies sehr gut, anderen gar nicht. Auf jeden Fall waren sowohl die Gewinne wie die Verluste nur Schall und Rauch, so lange, bis man ins Echtgeld wechselte und tatsächlich Einkommen generierte.  Insofern war alles grundsätzlich erstmal entspannt, verbunden mit viel Spaß, Spannung und sonst allem, was mir in den letzten Jahren eigentlich gefehlt hatte.

Allerdings begann nach einem halben Jahr unweigerlich der Ernst des Lebens: die Vorbereitung auf die Berufshändlerprüfung.

 

Eurex-Prüfung
Zertifikat Eurex
Mein Zertifikat als Börsenhändler

Diese Prüfung bestand damals aus unzähligen Fragen zum Fachgebiet, von denen eine kleine Anzahl als Musterfragen von der Eurex zur Verfügung gestellt wurde, mit der mitgelieferten, korrekten Antwort. Die für die Prüfung zu erlernenden Inhalte rekrutierten sich aus ca. 4.000 Seiten verschiedener Werke wie der offiziellen Börsenordnung, dem Börsengesetz und Schulungsunterlagen der Börse selbst. Die Eurex-Prüfung gehört anerkannterweise zu den schwierigsten Börsenprüfungen weltweit und es gilt in der Fachwelt, dass man definitiv zu den Profis gehört, wenn man sie bestanden hat.

Beim Lernen (ca. 16 Stunden pro Tag über ein Vierteljahr) dieser völlig fremden Inhalte überkam mich des Öfteren ein vehementer Zweifel, ob ich das wirklich schaffen würde. Es war auch nicht so, dass es ein Lehrbuch gab, man musste sich die Inhalte alle selbst zusammen suchen und lernen. Das ganze Unterfangen war aus didaktischer Sicht ein einziges Fiasko.

Die Zweifel waren letztlich unbegründet, ich legte die Prüfung am 13. Mai 2016 an der Deutschen Börse in Frankfurt am Main ab und bestand sie im ersten Durchgang mit einem recht guten Ergebnis. Damit hatte ich mein neues Berufsziel erreicht, war Zertifizierter Börsenhändler und die anschließende Party in unserer üblichen Frankfurter Kneipe war ein Riesenfest.

 

Assistenz der Schulungsleitung und Dozent

Wie oben beschrieben war das Schulungsmaterial unfassbar unübersichtlich. Außerdem gab es in dem gesamten Stoff eine große Anzahl von Formeln zur Berechnung der Kontrakte, etwa für den Delta-Verlauf von Optionen oder die Berechnung derivativer Hedges in Bezug auf Wertvolumina von Aktienpapieren. Nachdem ich das Mathematik-Thema mit unserem Schulungsleiter diskutiert hatte, wobei ich einige Optimierungen in der Methodik vorschlug, bat er mich, diese Abschnitte in der Eurex-Schulung zu übernehmen. Ich bot dann entsprechende Kurseinheiten in dem Spezialgebiet der Formelberechnungen an. Das war für mich ein Heidenspaß, da ich es liebe, solch komplizierte Sachverhalte herzuleiten und zu erklären bis es jeder verstanden hat; insbesondere versteht und lernt man die Inhalte selbst durch die Vermittlung an andere noch wesentlich nachhaltiger.

Eurex Exzerpt
Titelseite und eine Seite des Inhaltsverzeichnisses meines Eurex-Kompendiums

Gleichzeitig hatte ich bereits während meiner Lernaktivitäten in den Monaten zuvor für mich selbst eine Übersicht der Lerninhalte zusammengestellt, damit ich nicht jedesmal diese 4.000 Seiten durchsuchen musste, das hatte mich wahnsinnig aufgehalten. Für den eigenen Gebrauch war das keine Sache, aber da die Quellen urheberrechtlich geschützt waren, durfte ich diese Unterlagen nicht weiter geben; allerdings hatte ich in meinen Kursen davon erzählt. Das Ende vom Lied war, dass wir mit der Bildungseinrichtung von der Frankfurter Börse als Urheberrechtsinhaber die offizielle Erlaubnis bekamen, mein Lehrwerk an die Schulungsmitglieder zu verteilen. Dieses Kompendium, so nannte ich dieses Unterrichtswerk, beinhaltete den gesamten Lernfundus auf ca. 560 Seiten, allein das Inhaltsverzeichnis umfasste 13 Seiten.

Das gesamte Werk lag als PDF mit interaktiven, internen Links vor, dazu gab es am Ende eines jeden Kapitels die entsprechenden Musterfragen und am Ende einen Block mit den korrekten Antworten und deren Herleitung. Ergänzend hatte ich bei einer einschlägigen Internetplattform eine ganze Reihe von sogenannten Lern-Quizzes eingerichtet, wo man in verschiedenen Lernkurven die zu bearbeitenden Inhalte überprüfen und trainieren konnte. Am Ende jedes Kapitels gab es einen Onlinetest, der bestanden werden musste und unmittelbar vor der Prüfung in Frankfurt veranstalteten wir ein Intensivwochende in einem reizvollen Hotel, wo ich am Sonntagmorgen die Prüfungssituation simulierte. Entsprechend vorbereitet gingen meine Schützlinge am Ende in ihre Prüfung in Frankfurt.

In den Folgejahren musste ich das Kompendium immer wieder aktualisieren und erweitern, weil sich durch geänderte Gesetzgebungen oder handeltechnsiche Änderungen an der Börse selbst Änderungen ergaben. Ferner wurde die Eurex-Prüfung irgendwann mit den Inhalten der Schweizer Terminbörse zusammengelegt, so dass auch die dortigen Inhalte integriert werden mussten. Viele Inhalte übernahm ich direkt aus den Börsenunterlagen, dazu verfasste ich zu zahllosen Themen Erklärungsaufsätze und Grafiken.

Als das Kompendium für den Schulungseinsatz fertig war, schlug mir die Schulungsleitung vor, dass ich die gesamte Eurex-Schulung im freien Mitarbeiter-Verhältnis übernehmen könnte. Dazu benötigte ich noch die Zulassung als Dozent seitens der Börse, die ich kurze Zeit später erhielt. Es handelte sich bei unserer Schulung um eine von der Deutschen Börse lizensierte Lehrveranstaltung, insofern musste mein Lehrvermögen den Vorgaben des Lizenzgebers entsprechen. 

Somit verbachte ich meine Zeit in den folgenden Jahren hauptsächlich damit, den dritten Schulungsabschnitt in unserem Bildungsinstitut als Dozent durchzuführen und zu leiten. Ich bin stolz, dass ich in dieser Zeit mehr als 100 Schulungsteilnehmer so weit unterrichten konnte, dass sie ihre Eurex-Prüfung bestanden und wie ich Berufshändler werden konnten. Manche brauchten zwei Anläufe, aber alle haben es geschafft. Unsere Bestandsquote war die erfolgreichste aller Schulungsinstanzen.

Es war eine tolle Zeit mit dieser Bildungseinrichtung, mit sehr vielen wertvollen, zwischenmenschlichen Kontakten und einem ganz besonderen Gewinn: einer meiner Schulungsteilnehmer, der wie alle anderen seine Prüfung bestand, ist heute einer meiner sehr, sehr wenigen wirklich guten Freunde.

Anfang 2019 verabschiedete ich mich aus dieser Tätigkeit, weil mir eine Idee im Kopf herum spukte, die mich nicht mehr los ließ; diese Idee wollte umgesetzt werden.